Rücktrittsschreiben an den Zürcher Gemeinderat anlässlich des Übertritts in den Kantonsrat
Veröffentlicht am 25.11.2015 von Marc Bourgeois | 0 Kommentar(e)
Per 30.11.2015 trete ich in den Zürcher Kantonsrat über.
Hier mein Rücktrittsschreiben zuhanden des Zürcher Gemeinderats.
Geschätzter Ratspräsident,
liebe Ratsmitgliederinnen und Ratsmitglieder,
Stadträtinnen und Stadträte,
Mitarbeitende der Parlamentsdienste,
Damen und Herren von der Presse,
liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne
Nun gehe ich also. Wobei: zu gehen impliziert, dass man irgendwann mal angekommen ist.
Offen gestanden bin ich nie ganz in diesem Rat angekommen:
- Seine Logik blieb mir immer fremd,
- die Vermischung von politischen und persönlichen Interessen stets suspekt,
- sein faktisches Selbstverständnis als moralische Instanz immer fragwürdig,
- die oftmals zufällige Entscheidungsfindung problematisch.
Vor meinem Eintritt in diesen Rat war ich der naiven Überzeugung, dass die Legislative Spielregeln für ein reibungsloses Zusammenleben gestaltet, um so Freiräume zu eröffnen und abzustecken. Faktisch schränken wir die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt aber mit fast jedem Geschäft immer mehr ein. Dabei trifft es alle: Strombezüger, Abfallproduzierende, Verkehrsteilnehmer, Schwimmerinnen, Gewerbetreibende oder Prostituierte. Gibt es da irgendeine Grenze? Kehrt dieser Trend irgendwann wieder?
Darüber hinaus – und das scheint mir weit problematischer – beinhalten viele Geschäfte eine moralinsaure, umerzieherische Komponente. Hat uns das Volk gewählt, damit wir dieses gemäss unseren Überzeugungen erziehen? Ist eine Mehrheit legitimiert, einer Minderheit einen Lebensstil vorzuschreiben? Und jene, welche sich diesem Lebensstil nicht fügen möchten, auszugrenzen? Die oft beschworene Durchmischung gilt offenbar nicht für Vertreter anderer Lebensstile.
Wieso gehe ich denn, wenn ich meine Arbeit als nicht abgeschlossen beurteile? Zunächst mal dürfte es wohl illusorisch sein, als freiheitsliebender Mensch in dieser Stadt mehr erreichen zu können, als das Tempo zusätzlicher Einschränkungen zu verlangsamen. Der wichtigere Grund ist aber ganz praktischer Natur: Nachdem meine Frau herausgefunden hatte, dass ein Kantonsratsmandat in unserem Fall familienverträglicher ist, war mein Entscheidungsspielraum – vorsichtig ausgedrückt – leicht eingeschränkt.
Trotz dieser ernüchternden Eindrücke blieb auch einiges Positives haften.
- So haben es gewisse Personen und Gruppierungen immer wieder geschafft, mich politisch zu überraschen. Beispielhaft möchte ich hier die AL erwähnen, die im Gegensatz zu einigen anderen Parteien öfters mal auch tatsächlich jene vertritt, welche sie zu vertreten vorgibt. Und die all die immer neuen Staatsaufgaben nicht als gottgegeben ansieht. Das hat oftmals zu erfrischenden Konstellationen geführt.
- Auch menschlich durfte ich viel Positives erfahren und neue Freunde finden.
Mein Dank richtet sich an alle, die Tag für Tag im Hintergrund wirken und damit die Arbeit dieses Rates erst ermöglichen. Besonders erwähnen möchte ich hier die Parlamentsdienste, aber auch die Funktionsträger in Fraktion und Partei.
Der grösste Dank aber geht an meine Frau und unsere Kinder, die oft auf mich verzichten mussten.
Marc Bourgeois